Mehr Gelassenheit als Gardetrainerin
Ob Probleme mit der Anwesenheit, Tänzerinnen die kurz vor den Auftritten aussteigen oder einfach fehlende Motivation: Als Gardetrainerin sieht man sich ständig mit Herausforderungen im Training konfrontiert.
Doch nicht nur die Probleme im Training können den mental Load erhöhen. Alltag, Job, Partnerschaft und eigene Kinder fordern uns zusätzlich.
Hat man am Anfang der Saison noch große Pläne und Ideen, ist man noch voller Motivation und Vorfreude – so kann einem der Spaß am Trainerjob bei steigender Anzahl an Problemen schnell vergehen.
Wie schafft man es bei all der Belastung den Spaß nicht zu verlieren? Genau darum soll es im heutigen Artikel gehen.
Gardetrainerin: Eine Aufgabe voller Glücksmomente…
Es ist März, die neue Saison beginnt. Endlich wieder neue Musik, neue Schritte, eine neue Choreografie. Der Start in die neue Saison ist immer mein Lieblingszeitraum.
Wenn die Mädchen die Musik zum ersten Mal hören, wenn sie die ersten Schritte lernen und man Stück für Stück sieht, wie der Tanz, den man sich ausgedacht hat, Formen annimmt: Genau das macht für mich Jahr für Jahr den Reiz aus, weiterzumachen.
Leider hält dieser kostbare Zeitraum nicht sehr lange an. Meist beginnen die ersten Probleme bereits nach wenigen Wochen.
…und Herausforderungen

Als Gardetrainerin sieht man sich mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Die Größte: Fehlende Tänzer:innen im Training.
Ob Hausaufgaben, Klausurenphase, Erkältungswelle oder Klassenfahrten: Eine der größten Herausforderungen für uns Trainerinnen ist die Anwesenheit. 80% sind schon gut, 90% grenzen an ein Wunder. Und 100%? Schaffen wir maximal beim Auftritt.
Das macht es in unserem Sport leider extrem schwer. Denn der Gardetanz leben von Positionen, von Laufwegen, von abwechslungsreichen Schrittkombinationen die einfach eine volle Mannschaft benötigen.
Schritte, Beweglichkeit, Ausstrahlung
Die Anwesenheit wirkt sich direkt auf andere Bereiche aus. Wer wenig da ist, kann die Schritte in den meisten Fällen nicht so sicher – und wer häufig da ist, ist genervt von ständig notwendigen Wiederholungen.
Bei der Beweglichkeit gilt: Nur wer regelmäßig trainiert wird auch beweglicher. Nur doof, wenn man das halbe Jahr fehlt und zuhause auch nichts macht. Denn von allein fliegen weder die Beine bis an den Kopf noch sitzt man im Spagat auf dem Boden.
Und auch die Ausstrahlung leider. Denn wer sich unsicher in Schritten, Positionen und der Beweglichkeit fühlt, kann dies auch nicht nach außen zeigen.
Was bedeutet das für die Gardetrainerin?
Vor allem: Frust. Denn wenn die Tänzer:innen nicht richtig mitziehen kann die Choreographie noch so schön, die Schrittkombinationen noch so komplex sein – es wird nicht so aussehen, wie in unserer Vorstellung.
Die Folge: Wir werden nervös. Wir schreiben Nachrichten, wie wichtig die Trainingsteilnahme ist. Machen noch einen Elternabend, noch ein Trainingswochende. Werden strenger und emotionaler im Training. Kurzum, unsere mentale Belastung steigt weiter und weiter in die Höhe – und der Spaß schwindet.
Doch es gibt einen Weg, mit der Spirale umzugehen. Und der nennt sich: Gelassenheit.
Von der Gelassenheit, Dinge hinzunehmen
Hast du schon einmal vom sogenannten „Gelassenheitsgebet“ gehört? Das geht wie folgt:
„Herr, gib mir die Gelassenheit, Dinge Hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann – und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Auch wenn du mit Religion nicht viel am Hut hast, steckt in diesem Gebet ein wertvoller Kern: Es gibt Dinge, die wir nicht ändern können. Und es ist wichtig, dir das im Bezug auf das Gardetraining immer wieder zu verdeutlichen.
Was du ändern kannst
Doch bevor wir dazu kommen, starten wir erstmal mit den Dingen, die wir ändern können. Ich will dir mal ein paar Beispiele geben:
- Der Tanz sieht mies aus, weil die Hälfte der Mädchen aufgrund mangelnder Beweglichkeit ihr Bein nicht fängt. Dann nimmt die Beinführung raus.
- Bei der letzten Beinreihe fehlt die Kraft und Energie, die Beine bis an den Kopf zu werfen. Dann pass die Beinwürfe auf 90° an.
- Der komplexe Schritt will nicht funktionieren? Dann ersetze ihn durch einen leichteren.
Und wenn sich jetzt alles in dir sträubt, denk nochmal an das Gebet. Es erfordert Mut, Dinge zu ändern. Ja, genau – es ist mutig wenn du sagst: „Ok, das ist einfach eine Stufe zu hoch für uns. Wir machen das jetzt leichter.“
Aber du wirst sehen, es wird dir guttun. Weil der Tanz danach besser wirkt. Weil es drei Sachen weniger sind, um dir du dir einen Kopf machen musst. Das bringt die Freude zurück.
Was du nicht ändern kannst
Klassenfahren, Krankheiten, Urlaub – und mittlerweile in meinen Augen auch Schularbeiten sind Dinge, auf die du wenig bis keinen Einfluss hast.
Natürlich kannst du hier Bitten und appellieren, doch die Entscheidung liegt bei den Eltern. Das kannst du doof finden, aber es sollte dir nicht den Spaß am Traineramt rauben.
Lenke deine Energie lieber auf die Kinder, die im Training anwesend sind. Nutze die Zeit, um mit diesen weiterzuarbeiten. Wenn bei mir eine Abmeldung eintrudelt bekommt sie einen Daumen hoch und das wars. Kein Nachfassen, kein Zeitinvest. Du kannst es nicht ändern – du brauchst nur die Weisheit, das zu erkennen.
Wie wird man nun gelassener?
„Ja Lisa, alles schön und gut – doch morgen kommen die nächsten fünf Absagen und mir platzt wieder die Hutschnurr…“
Ganz ehrlich: Das kann ich voll verstehen. Auch ich habe immer noch emotionale Reaktionen, vor allem je näher wir den Auftritten kommen. Doch mittlerweile weiß ich, wie ich damit umgehen kann.
Es hat seine Vorteile, wenn man seit über 13 Jahren Trainerin einer Garde ist: Die Dinge wiederholen sich.
Erfahrung hilft
So weiß ich mittlerweile, dass vor den Herbstferien immer Klassenfahren sind. Das in den zwei ersten Dezember-Wochen immer super viele Arbeiten geschrieben werden. Und das zeitgleich auch noch eine Erkältungswelle durch die Schulen rollt.
Was mir dieses Wissen bringt? Wenn die Absagen eintrudeln und der Trainingssaal nur halb gefüllt ist muss ich mir keinen Kopf machen. Es ist jedes Jahr so – und das kann ich auch nicht ändern. Weisheit = Gelassenheit.
Die eigene Erwartungshaltung…
…ist die höchste. Weder der Verein, noch die Eltern, noch das Publikum erwarten so viel von dir und deiner Garde wie du selbst. Oder kam nach einer für dich eher enttäuschenden Performance schon mal jemand an und hat dir gesagt, wie schlecht ihr wart?
Wohl kaum. Weil 95% der Zuschauenden keine Ahnung haben, wie es aussehen soll. Das ist alles nur in deinem Kopf. Und auch hier gilt wieder – du kannst nicht ändern, was deine Mädels auf der Bühne machen. Weisheit = Gelassenheit.
Es ist nur ein Hobby
Es ist und bleibt ein Hobby. Und du bist nur ein Mensch. Es ist ok, wenn du mal ein Training ausfallen lässt – aus welchen Gründen auch immer. Auch wenn die Tänzer es eigentlich nötig haben. Auch, wenn in zwei Wochen der erste Auftritt ist.
Du wirst wohl kaum mit dem Gardetanz deinen Lebensunterhalt verdienen. Du wirst von niemandem eine Ehrung dafür erhalten, dass du dir für die Garde ein Bein ausgerissen, deine Familie vernachlässigt und deine mentale Gesundheit kaputt gemacht hast. Noch wird irgendwer auf deiner Beerdigung ein Lied davon singen, wie schlecht die Auftritte deiner Gruppe doch waren.
Mach dir das immer wieder klar.
Sprich mit anderen
Einen letzten Tipp will ich dir noch mitgeben. Seit fast zehn Jahren mache ich nun Keep-Dancing. In den zehn Jahren habe ich von Jahr zu Jahr mehr Gelassenheit gefunden. Was mir dabei besonders geholfen hat war der Austausch mit Gleichgesinnten.
Dabei geht es nicht einmal darum, Lösungen für Probleme zu finden. Es hilft auch schon zu hören und zu verstehen, dass es anderen genauso geht.
Es hilft seine Erfahrungen und Gedanken mit anderen zu teilen, die diese wirklich verstehen und nachempfinden können.
Auch das führt zu mehr Gelassenheit weil du siehst: Es ist überall so. Es liegt nicht an dir. Du kannst es nicht ändern.
Gelassenheit kann gelernt werden
Ich hoffe, der Artikel gibt dir einige wertvolle Impulse mit. Das wichtigste ist: Es ist ein Weg, ein Prozess. Du wirst nicht von heute auf morgen gelassener werden.
Aber mit jeder neuen Situation, die du für dich meisterst, holst du dir ein Stück mehr Freude an unserem Sport zurück. Und das ist alles, was zählt.
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