Das erste Tanzturnier
Eine Achterbahnfahrt der Gefühle
Unendliche lange Sekunden des Wartens – auf einmal ihr Blick zu mir, voller Erstaunen, eine Hand vorm Mund. Blick zurück in die Jury. Die Turnieransagerin spricht die magischen Worte: „Und nun die Wertung bitte“. Ein weiterer Moment Ruhe. Dann: „73, 80, 81, 74, 77“.
Der vereinbarte Dankes-Grätschsprung – vergessen. Stattdessen ein Ausbruch emotionaler Freudensprünge auf der Bühne. Eine kleine Verbeugung. Abmarsch – und Tränen. Tränen der Freude, der Erleichterung und vor Stolz.
Aber von Anfang an…
Tanzturniere kenne ich nur vom Zuschauen
Im Augenblick, wo ich diese Zeilen schreibe, bin ich bereits seit 12 Jahren Trainerin der Juniorengarde meines Karnevalsvereins. Im Jahr 2018 übernahm ich noch das Training für ein Tanzmariechen – mein großer Traum, da ich selbst viele Jahre lang als Mariechen getanzt habe.
An Karneval, wohlgemerkt. Wir sind ein klassischer Karnevalsverein „vom Dorf“. Trainieren das gesamte Jahr über für diese vier Auftritte an unseren Veranstaltungen. Turniere besuchte ich nur als Zuschauerin.
Während der Corona-Pandemie stieß eine neue Tänzerin in meine Garde dazu. Und fragte mich nach einem guten halben Jahr, ob sie auch Mariechen werden könnte. Für mich eine schwierige Entscheidung. Sie hatte das Potential, ohne Zweifel. Doch es gab schon ein Einzel- und ein Doppelmariechen bei uns im Verein. Mehrere gleichzeitig, gab es noch nie.
Von einer zu zwei Mariechen
Also fragte ich beim Verein nach – und bekam das Einverständnis. Blieb nur noch die Trainerfrage zu klären. Es juckte mich in den Fingern. Doch konnte ich das? Zwei Mariechen gleichzeitig trainieren? Ich holte mir Rat bei anderen Trainerinnen. Und fand schnell heraus, dass es eigentlich „normal“ ist, mehrere Solisten zu trainieren. Es ist für die Tänzerinnen angenehmer, noch jemand Gleichgesinnten zu haben. Und für die Trainerin nicht viel mehr Aufwand.
Also gut: Challenge acceptet. Im Mai 2022 begannen wir unser Training zu dritt. Zwei neue Tänze und 90 Minuten Training pro Woche. Sportlich, aber es klappte. Wir wärmten uns gemeinsam auf, trainierten an der Beweglichkeit und kümmerten uns wochenweise um jeweils eine Choreo.
Das funktionierte so gut, dass diese bereits vor den Sommerferien, also innerhalb von nicht mal acht Wochen, nahezu fertig waren. Daher wunderte es mich auch nicht, als mein „neues“ Mariechen nach den Ferien fragte, wann denn der erste Auftritt wäre. „Eigentlich erst an Karneval, im Februar“, so meine Antwort.
Der große Traum: Als Mariechen zum Tanzturnier
„Mmh, schade“, kam verständlicherweise zurück. Also machte ich mir Gedanken und kam auf die Idee, beide Mädels am 11.11 zur unserer Sessionseröffnung tanzen zu lassen. Mit einem gemeinsamen Medley – beide waren direkt Feuer und Flamme.
Und während wir so an unserem Medley übten – es war mittlerweile Ende September – meinte sie zu mir: „Weißt du, was mein großer Traum ist? Einmal als Mariechen auf einer Turnierbühne zu stehen“.
Das musste ich erstmal verarbeiten. Aber wie das so ist: Der Floh hatte sich in mein Ohr gesetzt. In meinem Unterbewusstsein begann es zu arbeiten. Eigentlich wäre das echt mal was, auch für mich eine neue Erfahrung.
Es dauerte einige Training, bis ich sie fragte, ob sie Turniere tanzen will. Ein klares „Ja“ folgte. „Gut, dann bestelle ich einen Ausweis und schaue mal, wo wir hinkönnen“.
Naiver Start ins Abenteuer Tanzturnier
Klar, etwas naiv und unüberlegt – aber das ist meine Schwäche. Ich bin eine Macherin, setze Dinge gern zügig um, ohne lang darüber nachzudenken. Also: Mit dem Verein gesprochen, Ausweis bestellt und eine Anmeldung für das Qualifikationsturnier in Hamm im Februar 2023 vorgenommen.
Dann erstmal wieder Konzentration auf den 11.11 – und im Anschluss das Turnier in den Fokus nehmen. So gingen wir im Training nach der Sessioneröffnung die Choreo durch und glichen diese mit den Wertungskriterien ab. Sind alle notwendigen Schritte drin? Zeigen wir alle Schwierigkeiten beidseitig? Das war unsere erste Aufgabe.
Mit Blick auf die Ausschreibung wurde schnell klar: Wir brauchen einen größeren Raum zum Üben. Die Bühnenmaße von 16×10 Metern passten nicht einmal in unseren Trainingssaal. Mithilfe des Vereins fand sich hier zum Glück eine schnelle Lösung. Eine zusätzliche Trainingszeit in der großen Mehrzweckhalle wurde für uns reserviert.
Erster Turnierschock: Bühnengröße
Ende November ging es dann erstmals in die große Halle – und auf die große Fläche. Das war erstmal ein Schock, als wir diese absteckten. Unsere Choreografie war ja ursprünglich für die viel kleinere Karnevalsbühne gedacht.
Von den Wertungskriterien her wusste ich, dass eine optimale Ausnutzung der Fläche mit in die Wertung einfließt. Wir gingen unsere Choreo also durch, schauten wo wir die Laufwege anpassen konnten und versuchten, den Tanz möglichst groß zu ziehen.
Schnell wurde klar: Das geht ganz schön auf die Ausdauer. Ein Punkt auf unserer Liste hieß dann also: Mehrmals durchtanzen, um Ausdauer aufzubauen. Und eine Woche später kam die Erkältungswelle. Mit Training lief da nicht viel – und auch nachdem die Erkältung überstanden war, war die Ausdauer noch am Boden.
Die ersten Zweifel kommen auf
Zu dem Zeitpunkt waren wir Mitte Dezember – und meine Zweifel begannen zu sprießen. War das die richtige Entscheidung, direkt ein Turnier anzumelden? Hätte ich nicht lieber noch ein Jahr warten, und einen ordentlichen Tanz stellen sollen?
Ich brauchte Hilfe. Von jemandem, der Ahnung hat. Also nahm ich Kontakt mit Malte auf, der bei der GCG Baunatal im Showtanz und als Tanzmajor sowie im Paar tanzt. Unseren freien Trainingstag zwischen den Jahren nutzen wir für ein gemeinsames Training mit Malte.
Er schaute sich den Tanz und die Schwierigkeiten an und gab uns sein Feedback und super wertvolle Tipps, wie:
- IMMER ins Publikum gucken und nicht in Tanzrichtung
- Füße immer schön schließen und die Finger zusammenlassen
- Die Musik viel schneller stellen
- Die Musik auf Turniertauglichkeit prüfen lassen – geht bei der Vorsitzenden des Tanzturnier-Ausschuss
- Die komplette Bühne nutzen – heißt: In jeder Ecke mindestens einmal gewesen sein
Gute Tipps, die uns weiterbrachten – aber ebenso viele weitere Zweifel weckten. Der Anruf beim Ausschuss brachte Ernüchterung. Zwar ist die Musik vom Takt her ok, wird also nicht disqualifiziert. Allerdings war das erste Lied kein Marschcharakter und wird wahrscheinlich zu Punktabzügen führen. Und auch die Bühne nutzen wir trotz angepasster Laufwege nicht vollständig – zwei Ecken blieben leer.
Eine Stufe runter schrauben: Abmeldung des großen Turniers
In meinem Kopf war alles in Bewegung. Malte hatte uns noch den Hinweis gegeben, dass eine Woche vor dem Qualifikationsturnier in Hamm ein Pokalturnier, ohne Qualifikation, stattfindet. Ich prüfte meinen Kalender – der Termin war tatsächlich noch frei. Ich fragte mein Mariechen. Und kurzerhand meldeten wir das „große“ Turnier ab und das „kleine“ an.
Das beruhigte mich etwas, doch noch nicht genug. Also setzte ich mich einmal dran und nahm mir die Wertungskriterien vor. Ging diese durch und vergab Punkte – sehr pessimistisch, aber besser als zu positiv ranzugehen. Mein Ergebnis: 60 Punkte.
Die Frage nach weiterem Feedback
Wir besprachen das im Training und stellen uns auf diese Punktzahl ein, setzen die Erwartungen niedrig an. Doch beruhigt hatte mich das immer noch nicht ganz. Ich brauchte mehr Feedback. Also holte ich mir noch die Meinung von Kirsten, einer Trainerin aus meiner Gardesports Masterclass ein. Ich schickte ihr ein Video vom Tanz und fragte sie nach Tipps. Wohlgemerkt: 2 Wochen vorm Turnier.
Tja, wer fragt der bekommt Antworten. Auch hier wieder gute, sinnvolle Antworten. Aber eben auch Dinge, die wir jetzt in zwei Wochen noch umsetzen mussten. Ein wertvoller Hinweis war es, jede Schwierigkeit nur einmal zu zeigen. Einmal und dafür ordentlich – weil jedes weitere Mal, die sie gezeigt wird, kann nur zu Abzügen in der Exaktheit aber nicht zu mehr Punkten führen.
Also stellten wir die Schwierigkeiten um, bauten welchen aus, setzen andere ein. In dieser Zeit hatte ich schlaflose Nächte. Träumte von schlechten Wertungen und Zweifelte ganz arg an meiner Leistung als Trainerin.
Es geht zum Tanzturnier
Dann war es plötzlich nur noch eine Woche bis zum Turnier und mein Mariechen wurde krank. Zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Das vorletzte Training machten wir noch mit halber Kraft, das letzte musste ausfallen. Sie ruhte sich aus, wurde zum Glück wieder fit.
Am Tag vor dem Turnier trafen wir uns nochmal zum Probeschminken und um die Tanz nochmal grob abzugehen. Dann war es so weit.
Ich schlief erstaunlich gut in der Nacht und auch den gesamten Tag über hielt sich meine Aufregung in Grenzen. Meiner Tänzerin ging es genauso. Vielleicht weil ich mir vorher bereits so einen Kopf gemachte hatte und nun klar war – jetzt kann man eh nichts mehr ändern.
Anspannung ja – aber keine Nervosität
Wir waren sehr früh in der Halle und gingen zuerst in unsere Umkleidekabine. Dort schminkte sich sie und steckte den Hut. Anschließend machten wir es uns auf der Tribüne gemütlich und schauten uns die Jugend und die Juniorengarden an. Da wir bequemerweise als letzte Startnummer dran waren, konnten wir auch noch die ersten zwei Juniorenmariechen anschauen. Dann ging es zum Aufwärmen und nochmal leicht durchtanzen.
Gut 40 Minuten später standen wir wieder in der Halle und schauten uns noch einige Mariechen an. Unsere größte Angst war es, dass wir die einzigen ohne freie Elemente sind. Doch schon das nächste Mariechen, was wir sahen, zeigten ebenso wie wir keine freien Räder oder einen Menichelli. Das gab uns Hoffnung und dass Gefühl: Da können wir mithalten.
Mitfiebern und Daumen drücken beim Auftritt
Durch die Abmeldung einer Tänzerin ging es dann schon etwas früher in die Passkontrolle. Leider verletzte sich das Mariechen direkt vor uns, sodass dann alles ganz schnell ging. Schon stand sie auf der Treppe, der Einmarsch setzte ein und es ging los.
Mein anderes Mariechen und ich schauten zu, fieberten bei jeder Schwierigkeit mit. Kommentierten die Umsetzung. Je länger der Tanz ging, umso mehr stieg bei mir ein Kribbeln im Bauch an. Das macht sie richtig gut, fast fehlerfrei, nur ein, zwei kleiner Wackler – geschafft.
Ein Gefühlschaos in Bauch und Kopf brach los. Wir liefen zur anderen Seite, warfen ihren Glücksbringer auf die Bühne und: Warteten auf die Wertung.
Die überraschende Wertung
Da mein Mariechen von der Bühne aus den besten Blick auf die Jury hatte, sah sie auch, welche Zahlen bereitgelegt wurden. Ihr erstaunter Blick zu mir, von dem ich eingangs erzählte, war die Reaktion auf eine 8. Sollte es wahrhaft eine 80 geben?
Nein. Es gab sogar zwei. Mit dem Wissen im Hinterkopf, dass wir von 60 Punkten ausgegangen waren, war diese Wertung spektakulär. Die Freudensprünge und Tränen absolut verständlich. Noch zehn Minuten später zitterten wir, mein Mariechen hüpfte voller Endorphine durch die Gegend und war völlig aus dem Häuschen, über diese Wertung.
Das erste Tanzturnier: Eine Gefühlsachterbahn
Mein Fazit von dieser wilden Reise: Am Ende war es gut, dass ich mir so einen Kopf gemacht habe. Das wir uns Feedback geholt und Zusatztrainings eingelegt haben. Nur so konnten wir den Tanz SO auf die Bühne bringen, dass er diese Wertung bekommen hat.
Ich habe unglaublich viel durch diese nicht durchdachte Turnierteilnahme gelernt. Mir Hilfe und Feedback zu holen. Das auch Anpassungen in kürzester Zeit möglich sind. Und dass man sich auch als Dorftrainerin nicht verstecken muss.
Wir werden weitermachen und auch im nächsten Jahr auf dem ein oder anderen Turnier tanzen. Nicht, weil wir gewinnen wollen. Sondern aus Spaß am Tanzen. Und das ist das Wichtigste.
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[…] letzten Jahr stand ich vor ebendieser Herausforderung – einen Solistentanz nach Turnierkriterien erstellen. Auch, wenn ich diese in meiner Grundschulung für Garde- und Showtanz bereits einmal […]
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